Wie kann man Venus widerstehen? TANNHÄUSER zur Saisoneröffnung in Genf

Daniel Johannson (Tannhäuser) und Victoria Karkacheva (Venus) im neuen TANNHÄUSER in Genf © GTG / Carole Parodi

Tannhäuser stellt den Kampf zweier Prinzipien dar, die das menschliche Herz als ihr Hauptschlachtfeld gewählt haben: Fleisch gegen Geist, Hölle gegen Himmel, Satan gegen Gott.“, wie es Charles Baudelaire überdeutlich formuliert hat. Zudem handelt es sich bei TANNHÄUSER um ein Künstlerdrama reinen Grades, in der Figur des sündigen Minnesängers und mittelalterlichen Outlaws hat sich Richard Wagner selbst gesehen, wohl mit ein Grund, weshalb ihn gerade diese große romantische Oper in drei Aufzügen, welche das Grand Theatre de Geneve zur Eröffnung der neuen Saison 2025/26 auf den Spielplan setzt, ein Leben lang beschäftigte. „Ich bin der Welt noch einen Tannhäuser schuldig“, beharrte Wagner noch gegen Ende seines Lebens. In Genf wird das ursprünglich 1845 in Dresden uraufgeführte Werk in der verdeutschen Pariser Fassung, also der Wiener Fassung von 1875, gespielt.

Zunächst nimmt die musikalische Seite der Vorstellung am 1. Oktober 2025 stark für sich ein. Das Orchestre de la Suisse Romande leuchtet mild in herbstlich mediterranen Farben und gefällt mit warmem, transparentem Orchesterklang. Sir Mark Elder, Altmeister unter den britischen Dirigenten, waltet souverän am Pult, dient mit abgestufter Dynamik vollends den Sänger:innen. Mitunter würde man sich etwas mehr Drive und Zug wünschen, wie das Philippe Jordan und Axel Kober in Wien mit demselben Werk in diesem Jahr exerziert haben, was jedoch geringe Einwände im Hinblick auf das betont feine Holz und die samtigen Streicher, die da aus dem tiefen Genfer Graben tönen, darstellen. Höhepunkte steuert Elder spannungsgeladen an, setzt deutliche Akzente, wo erforderlich. In dieses Gesamtkonzept fügt sich auch der hervorragende, von Marc Biggins bestens für seine Aufgabe vorbereitete Choeur du Grand Theatre de Geneve mit prächtigem Chorgesang ein.

Was den Gesang betrifft, sind zunächst in den Nebenrollen junge, gute Sänger:innen zu hören: Charlotte Bozzi gefällt als junger Hirt, schön singen die vier Edelknaben Lorraine Butty, Louna Simon, Roxane Macaudiere und Anna Manzoni. Die Minnesänger sind mit Julien Henric (Walter von der Vogelweide), Mark Kurmanbayev (Biterolf), Jason Bridges (Heinrich der Schreiber) und Raphael Hardmeyer (Reinmar von Zweter) rollendeckend besetzt. Einen bewährt profunden, warm satten Landgrafen singt Franz-Josef Selig. Stephane Degout ist als Wolfram von Eschenbach mit der Diktion des Liedsängers ein feiner Text- wie Rollengestalter und begeistert mit kultivierter, perfekt geführter Stimme. Die beiden weiblichen Hauptrollen sind ebenfalls mit jungen Sängerinnen besetzt. Victoria Karkacheva beindruckt als volle, dunkel timbrierte, sinnliche Venus, muss gewiss noch an der (deutschen) Artikulation feilen, mit glühend loderndem Timbre nimmt sie aber sehr für sich ein, ebenso mit passender Optik für die Liebesgöttin. Jennifer Davis begeistert als Elisabeth mit jubelnder Strahlkraft im zweiten Akt und verfügt auch über berührende Innigkeit für den dritten Akt, ihre kräftige Sopranstimme vermag sie hervorragend auf dem Atem zu führen. In der Titelrolle überzeugt Daniel Johansson weniger durch mitreißendes Singen, denn mit eindringlicher Rollengestaltung; vor allem in Erinnerung haften bleibt seine starke, deklamatorisch geschärfte, unglaublich intensiv vorgetragene Romerzählung im Schlussakt.

Die Reise nach Genf lohnt aber auch wegen der Inszenierung, weil die oben ausgeführten Aspekte Wagners Werk betreffend in dieser Neuinszenierung vollends, phasenweise sogar nahezu beklemmend erfasst werden. Verantwortlich für die Inszenierung ist der für die ursprünglich vorgesehene Tatjana Gürbaca, die aus gesundheitlichen Gründen die Inszenierung abgeben musste, kurzfristig eingesprungene Michael Thalheimer, der an diesem Haus in den beiden vergangenen Saisonen bereits mit PARSIFAL wie TRISTAN UND ISOLDE reüssieren konnte. Unterstützt wird der Regisseur von bewährten Mitarbeiter:innen – Henrik Ahr (Bühne), Barbara Drosihn (Kostüme) und Stefan Bolliger (Lichtdesign).

Thalheimer verfolgt ein ausgeprägt minimalistisches, reduziertes Konzept. Dieser Tannhäuser ist seelisch zerrissen, innere Konflikte beherrschen ihn, Sehnsucht, Versuchung, Schuld und Vergebung sind die zentralen Aspekte seines Geistes. Schafft es diese Persönlichkeit, am Ende ein erfülltes Leben zu führen – im ständigen Zwiespalt zwischen purer Erotik und hoher Liebe? Während der Ouvertüre denkt er sich selbst seinen Bühnenraum, der einem Seelenraum gleichkommt, stellt sich quasi selbst seine Welt zusammen. Das Geschehen spielt auf einer zentralen Spielfläche, in der Mitte zwei Zylinder als Venusberg im ersten Aufzug, die im zweiten Aufzug auf der Wartburg von zwei Wendeltreppen links und rechts flankiert werden, im dritten Aufzug bleibt auf der sonst leeren Bühne eine Zylinderröhre übrig, woraus wieder die Liebesgöttin erscheint. Die futuristische Szenerie mit ihrer bisweilen kalten Ästhetik, angereichert durch surreale Bilder, steht ganz bewusst im schroffen Gegensatz zur pulsierend leidenschaftlichen Musik. Ganz aus der Tiefenpsychologie heraus entwickelt ist eine famose Personenregie wie subtile Personenführung, diesbezüglich entpuppt sich der ja ursprünglich vom Schauspiel kommende Thalheimer wiederum als Meister seines Faches. Selten werden die Beziehungen der handelnden Personen so deutlich herausgearbeitet wie in dieser Regiearbeit: die Lebenserfahrungen Tannhäusers werden im Venusberg als mentaler Raum vereinigt, daraus und herum entwickelt sich die Gegenwelt der Wartburggesellschaft. Kahl kalte, ästhetisch jedoch großartige Bilder dominieren diese Inszenierung, in der das Blut, Symbol für die Schande, allgegenwärtig ist. Abgründig wie anrührend zugleich, wenn sich Tannhäuser im Sängerwettstreit mit diesem Blut übergießt und Elisabeth es ihm voller Liebe aus den Augen wischt. Die oben erwähnten zentralen Aspekte des Stoffes, des Geistes Tannhäusers, bringt der Regisseur selten überzeugend auf die Bühne, deren szenische Optik bisweilen an Innenräume des CERN, der in Genf angesiedelten Großeinrichtung für Kernforschung, erinnern mag, unterstützt von einer mystisch plastischen, ungemein stimmigen Lichtregie, wo schimmernd farbige Schattierungen dominieren. Auch mag man sich beim Betrachten an Stanley Kubricks Film A SPACE ODYSSEY erinnern.

Genfs neuer TANNHÄUSER ist gewiss eine intellektuelle Herausforderung, die ganz aus der großartigen Musik entwickelte Inszenierung gerät jedoch zwingend in ihrer Umsetzung von Richard Wagners Drama des im Dualismus zwischen Leidenschaft und Minne changierenden Künstlers. Der betont warm gehaltene Duktus der Musik bildet zur kühlen, auf jegliche Opulenz verzichtende Bühne einen reizvollen, zum Nachdenken anregenden Kontrast. Diese Inszenierung von TANNHÄUSER stellt, wie TRISTAN UND ISOLDE, eine Koproduktion von Genf mit der Deutschen Oper Berlin dar, Wagnerianer wie Interessierte überhaupt dürfen sich darauf an der Bismarckstraße freuen.  

Themenschwerpunkte
Portait Thomas Rauchenwald
Thomas Rauchenwald
Autor des Blogs „Simply Classic“

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