Mit der „dem lieben Gott geweihten“ neunten, unvollendeten dreisätzigen Symphonie hat Anton Bruckner seinen „Abschied vom Leben“, wie er selbst den Tuben-Satz im zweiten Thema im Adagio bezeichnet hat, komponiert.
Franz Welser-Möst hat eine besondere Beziehung zu diesem großartigen Werk, stellt es doch für ihn „katholische Theologie, in Klang gesetzt„, dar. Der Dirigent und die Wiener Philharmoniker setzen die Symphonie Nr. IX d-moll WAB 109 auf das Programm ihres Orchesterkonzertes bei den Salzburger Festspielen. Und auch im fünften Konzert am Ende eines langen Salzburger Festspielsommers ist das Orchester in allen Instrumentengruppen einfach prächtig disponiert – besonders hervorzuheben Solooboe, Soloklarinette wie Solohorn – und musiziert im vollkommenen Einklang mit dem Dirigenten, sodass Bruckners letztes Werk ungemein kompakt, voll, rund, wie aus einem Guss im Großen Festspielhaus am Abend des 28. August 2025 erklingt.
Franz Welser-Möst mit dem sehr gut ausbalancierten wie satt klingenden Eliteorchester setzt auf flüssige, zwischendurch sogar zügige Tempi, die Aufführungsdauer ist mit einer Stunde eher knapp bemessen. Faszinierend der leuchtend transparente, aufgefächerte Klang, der an diesem Abend ins Große Festspielhaus strömt. Der Dirigent baut mit weitem Atem große, atemberaubende Spannungsbögen auf, die er, ein Pultvirtuose allererster Güte, über den gesamten Verlauf der Symphonie halten kann. Feierlichkeit ist dort zu hören, wo von Bruckner verlangt und angebracht, die Musik wird aber nie zum Selbstzweck zelebriert, pompöse Steigerungen, die sich nur in plakativ monumentalen Knalleffekten entladen, sind bei dieser innig tief empfundenen, beglückenden Interpretation nicht zu vernehmen.
Im ersten Satz – Feierlich. Misterioso – betont der Dirigent eindrücklich, worum es hier geht: Ernst, Kampf, Strenge, Wucht. Der Bläserchoral in der Coda wird intensiv, vehement gesteigert, das Tremolo in den ganzen Streichern gerät ekstatisch, so hört man das selten. Die ganze Coda – im Grunde eine Finalcoda, weshalb man das unvollendete Werk auch als vollendet ansehen kann – führt Welser-Möst zu einer gigantischen Steigerung.
Im zweiten Satz – Scherzo: Bewegt, lebhaft – Trio: Schnell – dem einzigen Bruckners, wo Anklänge an seine oberösterreichische Heimat zur Gänze fehlen, flackert in den stampfenden Akkorden, die Welser-Möst nur so herausmeißelt, beinahe schon Igor Strawinskys „Le sacre du printemps“ durch; ein bizarrer, rhythmisch akzentuierter Totentanz zieht da vorbei.
Besonnene Abgeklärtheit, Mystik, nie hohles Pathos dann im Finale. In diesem großartigen Satz – Adagio. Langsam, feierlich – reizt Welser-Möst die Klangfarben-Intensität aufs Äußerste aus, die Akkord- und Klangballungen werden gewaltig aufgetürmt, die kühne Harmonik selten gleißend grell wie ungemein stark betont. Das an Konzentration nicht nachlassende, scheinbar nie ermüdende Orchester setzt das alles in einer Staunen machenden Intensität um. Nach diesen erschütternden Entladungen schimmert die Coda sanft herbstlich, warm, im edlen, philharmonischen Goldklang. Und ganz zum Schluss, im wehmütigen Abgesang der Coda, wo man die Orgel von St. Florian zu hören glaubt, mit diesem ruhigen Ausschwingen – Hörner über den Akkorden von Tuben und Posaunen über den weitgespannten, wogenden Streichern bis zu deren Pizzicati am Schluss – vermag Welser-Möst mit seiner ausgefeilten, an ein Bruckner-Hochamt gemahnenden Interpretation sensible Hörer*innen wohl zu Tränen zu rühren. Lange ergriffene, beglückende Stille dann bis zum Applaus.
Im ersten Teil des Konzertes steht noch die Symphonie Nr. 2 op. 30 für Streichorchester von Mieczyslaw Weinberg am Programm. Das ebenso dreisätzige Werk erinnert an Prokofieff, Schostakowitsch, Mahler, in den Bratschen und Celli im zweiten Satz auch an Bruckner, bisweilen kling auch polnisch-jüdische Klezmermusik durch. Dieses Werk wurde von Welser-Möst bereits während der Corona-Pandemie in Cleveland eingespielt und musste der Dirigent dabei immer an den Streicherklang der Wiener Philharmoniker denken. Dirigent und Orchester reüssieren auch mit diesem Werk, das in seinem Grauen und Schmerz an die Verschleppung und Ermordung von Weinbergs Schwester und Eltern durch die Nationalsozialisten erinnern soll.
Den abschließenden, kurzen Publikumsjubel nimmt der wieder genesene Dirigent bescheiden, gerührt entgegen.