One morning turns into an eternity – Ein Morgen wandelt sich in Ewigkeit: diese Gedichtzeile von Wang Wie gibt einer Musiktheaterproduktion den Namen, die Dirigent Esa-Pekka Salonen und Regisseur Peter Sellars für die Salzburger Festspiele kreiert haben, wobei ERWARTUNG, Monodram in einem Akt für Sopran und Orchester op. 17 von Arnold Schönberg mit DER ABSCHIED für Alt und Orchester, aus „Das Lied von der Erde“ von Gustav Mahler zu einem Musiktheaterabend mit FÜNF STÜCKE FÜR ORCHESTER op. 10 von Anton Webern als Zwischenspiel verbunden werden.
Der Dirigent leistet an diesem Premierenabend am 27. Juli 2025 Enormes, wenn er nach der Matinee am Vormittag mit Strawinsky und Berlioz wieder am Pult der Wiener Philharmoniker steht, die wiederum hervorragend disponiert, mit ihrer nach wie vor einzigartigen Klang- und Orchesterkultur tiefschürfend in die grandiosen Seelenlandschaften der genannten Komponisten eintauchen. Derart gespielt ist nachvollziehbar, wie unglaublich sinnlich nicht nur Mahler klingt, sondern auch Schönberg und Webern komponiert haben. Musikalisches Glück tönt da aus dem Graben der Felsenreitschule, das subtile Flötensolo von Karlheinz Schütz verdient Extralob. Ausryne Stundyte gestaltet ihren Part in ERWARTUNG mit großem, stählernem, mitunter flackerndem dramatischem Sopran enorm expressiv, aufgeregt, jeden Zoll werkimmanent, wobei an Text- und Wortdeutlichkeit noch gefeilt werden könnte, ohne Titel würde man kaum ein Wort verstehen. Fleur Barron, eingesprungen für die ursprünglich vorgesehen Wiebke Lehmkuhl, verfügt über keinen satten Alt, jedoch über einen sehr gut geführten, sehr schön gefärbten, berührenden Mezzosopran, der vielleicht etwas zu wenig klangintensiv in die akustisch heikle Felsenreitschule strömt. An Ausdrucksintensität lassen beide Sängerinnen wenig Wünsche offen und überzeugen auch in ihrer jeweiligen Darstellung.
Musste das Unternehmen, Schönbergs Bühnenwerk mit einem Orchesterlied Mahlers, durch Musik von Webern zu einem Bühnenwerk verbunden, zunächst merkwürdig anmuten, überzeugt, wenn man bereit ist, sich darauf einzulassen, die szenische Umsetzung doch. Peter Sellars vermag mit diesem Doppelabend als Regisseur szenisch wieder einmal mit seiner ungeheuren Innovativität zu überzeugen. Vorgeschlagen wurde die experimentelle, gewiss gewagte Kombination von Intendant Markus Hinterhäuser, Sellars begeistert sich für die tiefen Verbindungen der Werke und die Bezüge zu Wien: Schönbergs und Mahlers Werk werden jeweils gegen Ende des ersten Jahrzehntes des 20. Jahrhunderts in der Nähe zu Sigmund Freuds „Traumdeutung“ veröffentlicht und entstanden um dieselbe Zeit auch Weberns Orchesterstücke. Das Bühnenbild von George Tyspin – schwarze, drehende Stahlröhren als Bäume im Wald – verbindet stimmig die zwischen Aufbruch und Abschied changierenden Musikwelten, Camille Assaf liefert unaufdringliche, einfache Kostüme, grandios gerät das ganz auf die seelischen Stimmungen der Musik abgestimmte Licht von James F. Ingalls. Dass Sellars ERWARTUNG und DER ABSCHIED handlungsmäßig eigen, politisch aktuell interpretiert, wie im Programmheft nachgelesen werden kann, ist einerlei, für das Werkverständnis irrelevant.
Der eigenartige, kurze, nur siebzig Minuten dauernde, pausenlose Abend gerät hochinteressant, der Intendant steht immer wieder für Überraschungen und Unkonventionelles, was den Festspielen nicht zum Schaden geraten sollte.
Apropos ERWARTUNG: Am 31. Juli 2025 ist einer der ganz großen Theatermagier gestorben, Robert Wilson. Markus Hinterhäuser: „Mit seinem Tod verliert die Welt der Künste einen ihrer bedeutendsten und originärsten Protagonisten.“ Dessen totalreduzierten Licht- und Schattenspiele bei Schönbergs Monodram mit der ebenso einzigartigen Jessye Norman bei den Salzburger Festspielen 1995 werden unvergessen bleiben. Die von Wilson geschaffene Marmorbank als Teil des Bühnenbildes der damaligen Produktion steht immer noch im Faistauer-Foyer, eine Vorhalle im Eingangsbereich zum Haus für Mozart.