Asmik Grigorian und Piotr Beczala in einer anderen Liga – RUSALKA am Liceu in Barcelona

Asmik Grigorian und Piotr Beczala in RUSALKA am Liceu Barcelona © A. Bofill

Die Wassernixe Rusalka begegnet einen Prinzen am See. Um ihn lieben und für immer bei ihm sein zu können, möchte sie menschliche Gestalt annehmen. Für die Verwandlung durch die Hexe Jezibaba gibt sie ihre Stimme und verlässt ihre Heimat, das Wasserreich. In der Menschenwelt verzaubert Rusalka zunächst den Prinzen, bleibt jedoch eine Fremde, der Prinz verliert sich schließlich an die fremde Fürstin und wendet sich von Rusalka ab. Das bringt dem Prinzen den Tod, Rusalka die Verbannung. Soweit die Handlung des slawischen Volksmythos, das der deutschen Undine von Friedrich de la Motte Fouquè, dem dänischen Märchen Die kleine Meerjungfrau von Hans Christian Andersen und der altfranzösischen Sage Melusine ähnelt: Zum 1901 am Prager Nationaltheater uraufgeführtem lyrischen Märchen in drei Akten, RUSALKA, haben Jaroslav Kvapil das Libretto und Antonin Dvorák die Musik verfasst.

Dvoràks erfolgreichste Oper mit einfach herrlicher Musik steht nun zum Saisonabschluss am Spielplan des Gran Teatre del Liceu in Barcelona – in einer Inszenierung , die eine Koproduktion mit dem Teatro Real Madrid, der Semperoper Dresden und dem Palau de les Arts Valencia darstellt. Die Inszenierung stammt vom deutschen Regisseur Christof Loy, der auch mit dieser Produktion seine speziellen Eigenheiten – psychologisch exakt in Seelenlandschaften vordringend, geradlinig zwingend und äußerst sensibel in Personenführung und Personenregie der handelnden Personen, die er zu ausgewiesenen Sängerdarstellerinnen und Sängerdarstellern animiert – wiederum eindringlich verwirklicht. Unterstützt wird er bei seiner bisweilen abgründig herzzerreißenden Regiearbeit von Johannes Leiacker (Bühne), Ursula Renzenbrink (Kostüme) und Bernd Purkrabek (Licht); Klevis Elmazaj steuert eine packende, furios orgienhafte Choreografie bei.

Das Stück spielt bei Loy in einem maroden Theaterraum – Theater am Theater bedeutet für ihn offenbar die problematische, letztendlich unmögliche Kommunikation zwischen Naturwesen und den Menschen. Die Natur holt sich ihren Lebensraum jedoch Schritt für Schritt zurück – im Lauf der Handlung drängt mehr und mehr Natur in Form von versteinerten Wellen in die Bühne. Rusalka ist zu Beginn gehbehindert und auf Krücken, nach ihrer Menschwerdung kommuniziert sie als Spitzentänzerin, hat sich ja ihre Menschwerdung mit dem Stimmverlust erkauft. Vodnik und Jezibaba sind Menschen von heute.

Loy zeigt Dvoràks Oper als ein Gleichnis über den Wert der eigenen Identität, die Bedeutung der menschlichen Seele und die Verschiedenartigkeit von Menschenwelt und Natur – damit knüpft er an die gesellschafts- und zivilisationskritische Dimension sowie das gleichnishafte Format von Kvapils Märchenpoesie an. Die Unvereinbarkeit von reiner, aber kalter Liebe ohne Leidenschaft der Naturwesen und der warmen, rauschhaft triebhaften Lust der Menschen steht im Zentrum seiner psychologisch fundierten, subtilen wie höchst ästhetischen Inszenierung. Das ursprünglich böhmische Naturstück wird, wie auch nicht anders zu erwarten war, von Loy bewusst nicht gezeigt.

Die szenische wie die musikalische Interpretation stehen aber an diesem außergewöhnlichen Premierenabend am 22. Juni 2025 nicht im Widerspruch, weil die genannte, böhmische Dimension auch von Orchester und Dirigenten akustisch nicht veranschaulicht wird, fehlt dem Orquestra simfònica del Gran Teatre del Liceu unter dem Musikdirektor des Hauses, Josep Pons, bei Wiedergabe wie Interpretation der tschechisch verwurzelten Musik Dvoràks jegliches slawisch-böhmische Idiom. Dass die katalanische Formation unter dem katalanischen Dirigenten diesen Aspekt nicht verwirklicht, liegt in der Natur der Sache, tut der ausgesprochen hohen musikalischen Qualität der Premiere jedoch keinen Abbruch: Drama, Lyrik wie Leidenschaft werden nämlich ungemein suggestiv umgesetzt, das Orchester ist in allen Instrumentengruppen sehr gut aufgestellt und zeichnet sich durch farbenreich schimmerndes Musizieren, feine Orchesterkultur wie eindrucksvolle Spannungsgeladenheit aus. Pablo Assante hat zudem den Cor del Gran Teatre del Liceu prächtig für seine Aufgabe präpariert.

Zum reinsten Opernglück gerät der Abend jedoch wegen der meisterhaften Stimmen, die da zu hören sind. Sehr gut besetzt sind bereits alle kleinen Rollen: Manel Esteve (Hajny)), Laura Orueto (Kuchtik), David Oller (Lovec), Juliette Aleksanyan, Laura Fleur und Alyona Abramova (Nymphen). Karita Mattila gibt eine üppig sinnliche fremde Fürstin, Okka von der Damerau eine mächtig dämonische Jezibaba, Aleksandros Stavrakakis einen volltönenden, balsamischen Vodnik.

In einer anderen Liga allerdings agieren und singen die beiden Protagonisten. Piotr Beczala verleiht dem Prinzen seinen schmelzreich timbrierten, wunderbar phrasierenden Tenor, den er in der Schlussszene mit Rusalka, einem Todesduett, in stratosphärische, bombensichere, perfekt fokussierte Höhen schraubt. Und Asmik Grigorian als Rusalka begeistert vollends nicht nur bei hinreißender Meisterung des  Spitzentanzes, sondern auch und vor allem durch ihren einfach großartigen Gesang. Ihr Sopran ist in allen Lagen großartig geführt, begeistert mit edlem, kostbarem, reichem Timbre und bruchlosen Registerwechseln. Strahlend starke Spitzentöne runden diese perfekte, bewegende Rollengestaltung und Leistung ab, einfach ein Ereignis.

Das Premierenpublikum spendet der musikalischen Seite lautstarken Jubel wie überwiegende Zustimmung für die Regie, in die sich auch – zu Unrecht und nicht nachvollziehbar – einige deutliche Missfallenskundgebungen mischen.

Themenschwerpunkte
Portait Thomas Rauchenwald
Thomas Rauchenwald
Autor des Blogs „Simply Classic“

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