Von der Blumenwiese ins Wasser – KATJA KABANOVA in München

Corinne Winters als KATA KABANOVA von Leos Janàcek in München © Geoffroy Schied

Die Hauptperson ist eine Frau, mit zartem Gemüt. Bei bloßem Gedanken schwindet sie. Ein Hauch würde sie verwehen – und was erst der Sturm, der über sie hereinbrechen wird! …“, schreibt Leos Janàcek an seine Muse, Kamila Stösslovà, über seine 1921 am Nationaltheater Brünn uraufgeführte Oper in drei Akten, KATJA KABANOVA, nach dem Schauspiel GROZA (GEWITTER) aus 1859 von Alexander Nikolajewitsch Ostrowski. Von ihrer Schwiegermutter Kabanicha gedemütigt, von ihrem Ehemann Tichon vernachlässigt, stirbt diese junge Frau von innen heraus, weil sie den Ehebruch mit Boris, diese Lüge und Sünde, nicht ertragen kann, wählt letztlich den Freitod in der Wolga.

An der Bayerischen Staatsoper ist Corinne Winters diese lebensgierige, unerfüllte Frau, verkörpert Janàceks – von Kamila Stösslovà wohl am stärksten inspirierte – Frau, wie es ergreifender nicht sein kann. Ihre perfekt fokussierte Sopranstimme schwebt nur so durch das Nationaltheater, mit wunderbarer Phrasierung, cremig dunklem Timbre wie gleichsam gleißenden Kantilenen und dramatischen Höhen. Höchst intensiv gestaltet sie diese Rolle, die sie unter anderen bereits auch bei den Salzburger Festspielen verkörpert hat, als bewegende Singdarstellerin exemplarischen Ranges. Und ihr verzweifelter, zerbrechender Stimmausdruck am Ende geht förmlich unter die Haut.

Ab KATJA KABANOVA haben Janàceks Opern nur mehr eine Spielfilmlänge von ungefähr 100 Minuten, gekennzeichnet von stetig vorwärtsdrängender Musik und gestatten nur in seelisch ganz starken Momenten eine Verzögerung des musikalischen Flusses, besonders in den lyrischen Momenten der Partitur – es werde „die allerzarteste meiner Arbeiten sein“, wie der Komponist an Kamila Stösslovà geschrieben hat. Dazu kommt noch das ausgeprägte Spröde und Zurückhaltende an seiner Musik, das sein feuriges Glühen voller Leidenschaft nur verdeckt. Auf diese Kontraste bzw. Aspekte setzt in der Dernière der Premierenserie am 30. März 2025 Marc Albrecht betont mit dem prächtig musizierenden, hervorragend abgestimmten Bayerischen Staatsorchester, sowohl die vertrackte Rhythmik der Partitur als auch deren magisch hymnischen Steigerungen bleiben da nicht auf der Strecke. Mitunter schwelgt Albrecht bereits fast ein wenig zu viel und lange im weich wabernden Klang, die Spannung lässt er jedoch nie abreißen in dieser richtigerweise pausenlos gespielten Aufführung.

Der polnische Regisseur Krzysztof Warlikowski verlegt die Handlung über die an ihren Emotionen zerbrechende Frau aus dem unterdrückenden Milieu der 1850er Jahr in Russland in ein postsozialistisches Ambiente der 1970er Jahre und wie immer steuert Malgorzata Szczesniak mit einem beinahe leeren Einheitsraum, tristem Ambiente und farbenfrohen Kostümen eine dem Wesen des Stückes ganz auf den Kern gehende Ausstattung bei. Das enorm plastische, dezent stimmige Licht von Felice Ross besticht, grandios geraten die Videos von Kamil Polak, beispielsweise zum Schluss, wenn Katja den Tod im Wasser als einzigen Ausweg wählt, die ganze Bühne mit Videos von unentrinnbarem Wasser geflutet wird und wo sie von einer Blumenwiese in den Fluss gleitet und auf einer Videoprojektion tot treibend in den Wogen zu sehen ist. Wie gewohnt, ganz im Sinne Janàceks, setzt der polnische Regisseur auf die Charaktere und das Werk zusätzlich verstärkende Ebenen. Katja zeigt er in einer Parallelwelt, lebend in ihrer eigenen Welt, eine doppelte Fremde, erinnernd an die Kindfrau LULU in Alban Bergs gleichnamiger Oper, die etwa zur gleichen Zeit wie Janàceks Frauenoper entstanden ist. Wie immer ist seine Regiearbeit vom Film inspiriert, dieses Mal von MOUCHETTE von Robert Bresson, einer Anklage gegen Lieblosigkeit und Liebesunfähigkeit aus den späten 1960er Jahren. Janàceks Werk bedeutet für ihn die Umwandlung eines realistischen Dramas durch Musik, die Chronik eines angekündigten Todes, wo die Zerbrechlichkeit einer Frau ins Zentrum gerückt wird. Bevor die Musik anhebt, zeigt Warlikowski eine Tango tanzende Gesellschaft: „Erst diese Körper beim Tanzen zu beobachten, hat Katja womöglich dazu animiert, einen anderen Körper zu berühren, ihn an sich zu drücken, zu umarmen!“, wie er selbst im Vorfeld der Produktion erklärt. Gelungen ist eine höchst überzeugende, sehenswerte weil bildgewaltige Inszenierung von Janàceks erster sog. „Kamila-Oper“, eine gefrierende Milieustudie, welche die Trümmer von Realem und von Emotionen eines an ihrer Umwelt zu Grunde gehenden Menschen zeigt. Personenregie und Personenführung sind subtil, beklemmend psychologisch fundiert, die Beziehungen der handelnden Personen überdeutlich herausarbeitend, ganz auf die jeweiligen Charaktere fokussiert: Im Schlussbild beispielsweise trägt Boris eine weiße Maske, Synonym für sein feiges, gesichtsloses Wesen.  

Neben Corinne Winters ist ein exzellentes SängerInnenensemble zu vernehmen. Eine hinterhältig böse, sadistische Kabanicha im Leopardenmantel verkörpert Violeta Urmana mit eisig kaltem, bedrohlich schneidendem Gesang. Sehr gut, den jeweiligen Charakteren voll entsprechend, agieren Milan Siljanov (Dikoj), James Ley (Kudrjas), Ena Pongrac (Varvara) und Thomas Mole (Kuligin). Von den beiden Tenören ist John Daszak als schwaches Muttersöhnchen Tichon stimmlich an diesem Abend bei weitem stärker als der um lyrische Emphase bemühte, etwas schwächelnde Pavel Cernoch als Liebhaber Boris.

Im Gesamten ist an der Bayerischen Staatsoper eine Aufführung zu erleben, die Gänsehaut provoziert und den aufmerksamen Hörer wie Seher fast erschlagen in einen kühl feuchten Münchner Frühlingsabend entlässt.

Themenschwerpunkte
Portait Thomas Rauchenwald
Thomas Rauchenwald
Autor des Blogs „Simply Classic“

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