„Ich trage in meinem Körper eine tote Frau …“ – ALMA von Ella Milch-Sheriff an der Wiener Volksoper

ALMA - die neue Oper von Ella Milch-Sheriff an der Wiener Volksoper © Thomas Rauchenwald

Die neue, am 26. Oktober 2024 als Kompositionsauftrag der Volksoper Wien ebendort uraufgeführte Oper der israelischen Komponistin Ella Milch-Sheriff in fünf Akten heißt ALMA, das Libretto stammt von Ido Ricklin, die deutsche Übersetzung aus dem Hebräischen hat Anke Rauthmann übernommen. Für die Komponistin stellen die beiden Säulen ihrer Oper im Wesentlichen die Trauer der Mutter Alma Mahler-Werfel, geborene Schindler, sowie ihr ungenutztes Potential als Komponistin dar. Diese Alma begegnet in dem Werk aber auch als Salondame, Ehefrau von Gustav Mahler, Muse und Geliebte von Oskar Kokoschka, Walter Gropius – diese Figur wird in dem Stück von einem Tänzer verkörpert – und Franz Werfel sowie als krasse Antisemitin. Ihr Drama wird dabei von hinten aufgerollt: 1935 stirbt Manon, ihre Tochter mit Gropius, der Alban Berg sein Violinkonzert „Dem Andenken eines Engels“ gewidmet hat. 1918 kommt es zur Frühgeburt und Tod des kleinen Martin, dem Sohn von Werfel. 1912 lässt sie ein ungeborenes Kind von Kokoschka abtreiben. 1907 stirbt die gemeinsame Tochter mit Mahler an Diphterie. Almas eigenes künstlerisches Todesurteil und quasi Begräbnis ist das Komponierverbot, das Mahler zu Beginn ihrer Beziehung über sie verhängt hatte, inklusive Feuerbestattung ihrer Partituren. Begleitet wird diese enorm bittere Lebens- und Leidensgeschichte von ihrem einzigen überlebenden Kind, Anna, ihrer zweiten gemeinsamen Tochter mit Mahler.

Inszeniert wird dieses Frauendrama von der Schauspielerin und Regisseurin Ruth Brauer-Kvam mit enormem Gestaltungswillen und ist diese Inszenierung zugleich abgründig, sensibel, bisweilen derb wie surrealistisch in historischen, zeitentsprechenden Kostümen von Alfred Mayerhofer. Das Bühnenbild von Falko Herold ist ein Universalbau, in den Almas Lebensstationen hineinprojiziert werden, das stimmige Licht hat Alex Brok beigesteuert. Weitere Unterstützung kommt von Florian Hurler (Choreografie) und Martin Eidenberger (Video). Personenführung und Personenregie geraten sehr deutlich, direkt, zwingend. Diese Regiearbeit ist über den Maßen gelungen, absolut sehenswert, Musiktheater vom Feinsten, weil unmittelbar aus der Musik entwickelt. Das SängerInnenensemble wird von der Regisseurin auch zu intensiver Darstellung angeregt, sämtliche Charaktere werden dabei überzeugend herausgearbeitet. Annette Dasch in der Titelrolle gefällt vor allem durch ihre großartige Rollengestaltung, stimmlich meistert sie trotz angestrengter Töne vor allem in der Höhe auch in der vierten Aufführung am 6. November 2024 die gesanglich enorm schwierige, fordernde Rolle in einem Stück, in dem sie permanent auf der Bühne steht. Mahler (Josef Wagner), Kokoschka (Martin Winkler) und Werfel (Timothy Fallon) sind rollendeckend, keineswegs überragend besetzt, Gropius dezent vom Choreographen selbst getanzt. Stimmlich am meisten überzeugt mit vollem, ausnehmend sicher geführtem Mezzosopran Annelie Sophie Müller als Anna.

Was die musikalische Seite betrifft, lässt der Chor der Wiener Volksoper starken Chorgesang hören, Holger Kristen hat gute Arbeit bei der Einstudierung geleistet. Das Orchester der Wiener Volksoper wird von Omer Meir Wellber straff und souverän durch den zweidreiviertelstündigen Abend geführt. Sheriffs Musik selbst kommt stark eklektisch daher, angereichert mit Zitaten von Berg, Mahler und Mozart, bisweilen wirkt diese stark rhythmische Komposition doch etwas aufgesetzt, platt und vordergründig, mit ihren schrägen Walzern, brachialen Tangos und grotesken Märschen. Vieles davon wird aber durch die starke Leistung des Dirigenten mit der sehr gut disponierten Formation im Graben ausgeglichen. Dem Publikum jedenfalls gefällt diese Art von Musiktheater und beschert der Wiener Volksoper einen verdienten Erfolg.

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Portait Thomas Rauchenwald
Thomas Rauchenwald
Autor des Blogs „Simply Classic“

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